BASEL: nichtwähler sind national und kantonal weiterhin die stärkste der parteien (boykott der kantonalen wahlen 2024)

Sunday, October 20th 2024  — 
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Ein Jahr nach unserer Beteiligung an der Wahlboykottkampagne gegen die Eidgenössischen Wahlen von 2023 haben wir in Basel-Stadt wieder Aktionen zum Wahlboykott durchgeführt, dieses Mal gegen die kantonalen Wahlen in den Grossen Rat und Regierungsrat, die am 20. Oktober stattfanden. Wir haben zahlreiche Wahlplakate überklebt: einerseits mit Stickern des Komitees für Wahlboykott vom letzten Jahr, andererseits mit roten Dreiecken auf den Köpfen der posierenden Politiker (einem Symbol der weltweiten anti-imperialistischen Bewegung).

Wahlboykott ist in der Schweiz auf kantonaler Ebene genauso berechtigt und nötig wie auf landesweiter Ebene. In linken Kreisen gibt es immer wieder Leute, die sich für Abstinenz oder sogar aktiven "Boykott" von "grossen", landesweiten Wahlen aussprechen, dann aber völlig unkritisch dafür argumentieren, man müsse sich an lokalen Wahlen beteiligen, da dort politische Veränderung viel möglicher (weil näher) sei. Diesen Standpunkt hört man zurzeit oft online in Bezug auf die US-Wahlen, wo viele pro-palästinensische Leute zwar den Präsidentschaftswahlen fernbleiben wollen, aber dazu aufrufen, lokal Mitglieder der Demokratischen Partei zu wählen, die Israels Genozid ablehnen.

Diese Logik ist vielleicht ab und zu gut gemeint, aber Bullshit. Auch in Basel-Stadt regiert die Kapitalistenklasse knallhart und nach purem Eigeninteresse. Das politische System des Kantons ist wie in fast allen Schweizer Kantonen mehr oder weniger eine direkte Kopie des bundesweiten korrupten, scheindemokratischen Systems, bloss im Kleinformat - mit der Ausnahme, dass Regierungsmitglieder in Basel von der Stimmbevölkerung statt vom Parlament gewählt werden. Doch sobald gewählt, agiert auch dieser Regierungsrat geschlossen als Einheitsfront für die Interessen des Kapitals.

Der Kanton Basel-Stadt hat zwar den Ruf, einer der sozialsten in der ganzen Schweiz zu sein, und das stimmt auch - wenn man das Glück hat, dem altreichen "Daig", der Finanzoligarchie oder den Pharma-Topverdienern anzugehören. Die ganzen überbezahlten mittleren bis hohen Büroangestellten und Vollzeitakademiker kommen auch noch okay weg. Mit den Interessen der arbeitenden Bevölkerung hat das aber nichts zu tun. Im "rot-grünen" Basel tanzt die Politik wenn es darauf ankommt nur nach der Pfeife der dort sässigen Monopolkonzerne, vor allem denen aus der Pharma- und Chemieindustrie wie Syngenta, Novartis und Roche - globalisierter Riesen, denen man hier, wo ihre Hauptsitze liegen, ein "ruhiges Hinterland" gewährleisten muss, damit sie in Ruhe ihre massenhafte, blutsaugende Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Süden koordinieren können (und obendrauf noch möglichst wenig Steuern zahlen müssen). "Soziale" Politik geht nur, wenn sie diesen Firmen nicht auf den Schlips tritt, denn das könnte ja den "Wirtschaftsstandort Basel" gefährden und zum Verlust von Arbeitsplätzen und Staatseinnahmen führen - als ob die Stadt diese nicht einfach genauso leicht selbst übernehmen könnte, falls der Wille dazu da wäre.

So hat der Grosse Rat etwa 2005 der Novartis für 100 Millionen Franken sowohl den ganzen Hafen St. Johann als auch einen Teil der Hüningerstrasse verkauft, weil dem Konzern das ursprüngliche Areal für ihren neuen Campus zu klein war. Dieser neue Campus ist heute grösser als manche Basler Quartiere und praktisch eine abgeriegelte "Stadt in der Stadt" mit einem Coop, einer Post, einem eigenen Passbüro, einem separaten Ein- und Ausgang für alle, die für die Geld schwitzenden Expats die Drecksarbeit machen müssen (zum Beispiel das Putzpersonal), der modernsten Überwachungstechnik und privaten Bullen - sorry, "Sicherheitsdienst". Also sozusagen die kapitalistische Stadt der Zukunft. Steuertechnisch ist es der SP und der heutigen Ständerätin für Basel Stadt, Eva Herzog zu verdanken, dass die globalisierten Konzerne bis heute Steuerprivilegien geniessen. 2018 brachte die Partei unter ihrer Führung die Parteipräsidenten und Fraktionsvorsitzenden fast aller anderen Grossratsparteien hinter verschlossenen Türen dazu, eine Vereinbarung zu unterschreiben, mit der sich die Politiker verpflichteten, bei der kantonalen Umsetzung des neuen "Bundesgesetzes über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung" die bereits existierenden Steuerprivilegien des Grosskapitals beizubehalten und innerhalb ihrer eigenen Parteien dafür zu kämpfen.

Währenddessen wird es für einfache Leute wie überall immer härter, über die Runden zu kommen. Die Mieten in Basel steigen Jahr für Jahr weiter (und das trotz aller möglicher Versprechen und sogenannten "Wohninitiativen"), genau wie die Krankenkassenprämien. Auch Preise im öffentlichen Verkehr steigen immer weiter, obwohl die BVB 2023 2,3 Millionen Franken Gewinn geschrieben hat und im Jahr durchschnittlich satte 222'000 Franken (also ein durschnittliches Monatsgehalt von 18'300) an die Mitglieder ihrer Geschäftsleitung zahlt. Die globale Erwärmung ist auch hier vollständig angekommen und jedes Jahr steigt die Gefahr eines weiteren unerträglich heissen Sommers, der für ältere und vorbelastete Leute tödlich enden kann. Da ist es auch relativ egal, dass 2022 per Volksabstimmung in die (unter dem Gesetz stehende) Verfassung geschrieben wurde, dass Basel-Stadt bis 2037 klimaneutral werden soll (was nach jedem ernsthaften Klimawissenschaftler sowieso zu spät ist). Alleine die Syngenta sorgt heute weltweit schätzungsweise für 24 mal mehr Treibhausgasemissionen als der ganze Kanton und der kapitalistische Staat in Basel-Stadt wird nie konsequent gegen die Klasse vorgehen, der er dient, auch wenn 2029 sieben Grüne, SPler und BastA!rde in den Regierungsrat gewählt werden.

Wer gegen all das protestieren möchte, hat in Basel-Stadt nicht nur die Anwendung des landesweiten Antiterrorgesetzes zu befürchten. Wer an einer Demonstration teilnimmt, wo eine "Straftat" begangen wird - an der sich jemand also zum Beispiel gegen bekennende Nazi-Cops wie den Oberleutnant Thomas Aeppli wehrt; oder jemand keine Lust hat sich von wiederholten (und gedeckten) rassistischen Gewalttätern wie dem Polizisten Ben Thiele sagen zu lassen, wie sie gegen Rassismus zu protestieren haben; oder an der jemand nicht akzeptieren will, dass uniformierte und oft vermummte Möchtegern-Rambos durch das Schiessen von gummi-überzogenem Schrot aus wenigen Metern Entfernung den Tod von Demonstranten fahrlässig in Kauf nehmen - kann von der Staatsanwaltschaft mit dem Argument der "Mittäterschaft" mit dutzenden anderen Aktivisten in einem Massenverfahren vor Gericht gezogen werden, wobei dem Staat völlig egal ist, wer die Straftat überhaupt angeblich begangen hat. Und das ist dieselbe Staatsanwaltschaft, die ohne richterlichen Beschluss Hausdurchsuchungen anordnen kann und der in Basel die Kriminalpolizei sogar direkt untersteht - wo ist hier bitte die hochgepriesene Gewaltenteilung? Und wo in diesen Schnellprozessen das Recht auf Unschuldsvermutung?

Ausserdem liegt die Anzahl politisch entrechteter Personen, sprich Personen ohne Schweizer Pass, mit 38,6% über 50% höher als der schweizweite Durchschnitt. Denn auch in Basel-Stadt darf man ohne Schweizer Pass nicht wählen und abstimmen, und das wird sich auch mit der neuen heuchlerischen Initiative, die sich fälschlicherweise "Initiative Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer" nennt, nicht grundlegend ändern. Dieser Schwindel würde nämlich nur Menschen mit einem C-Ausweis, sprich einer Niederlassungsbewilligung, das Recht geben, sich auch ihre eigenen Vertreter, Zertreter und Unterdrücker auszuwählen (selber wählen lassen dürfen sie sich dabei aber nicht). Das sind aber nur 54.3% aller Menschen ohne Schweizer Pass im Kanton, also nur 42'896 Menschen von 78'946, sprich: knapp die Hälfte. Ausserdem könnte diesen "Stimmberechtigten" trotzdem jederzeit, zum Beispiel wegen dem Beziehen von Sozialhilfe, dieses Recht wieder entzogen werden! Hier handelt es sich auf keinen Fall um eine demokratische Reform, sondern um einen scheindemokratischen Spaltungsversuch, der am Ende nur wirklich der "besseren" Hälfte, den "reichen Expats", nicht aber der "schlechteren" Hälfte, den "armen Migranten", entgegenkommt. Die systematische und riesige ausländerfeindliche Entrechtung, die in der Schweiz herrscht und als Mittel zur Spaltung und Niederhaltung der unterdrücktesten und ausgebeutesten Teile der Bevölkerung in diesem Land dient, ist eine klaffende Wunde, und wir werden diesen Versuch, ein Pflästerchen draufzukleben, um vom tatsächlichen Heilen der Wunde abzulenken, nicht akzeptieren. Für uns gilt also weiterhin: wir sind für das Wahl(boykott)recht für alle arbeitenden Menschen in diesem Land, ob "Ausländer" oder "Schweizer".

All diese und noch viele weitere Gründe machen Wahlboykott in Basel-Stadt nötig und berechtigt. Egal, welche Parteien der Reichen zusammen regieren und wie viele Sitze sie in der Regierung oder im Parlament haben, am Ende des Tages gewinnt die Börse und die Arbeiter und einfachen Leute verlieren. Denn auch wenn sie ihre Versprechen an uns am Tag ihrer Wahl "vergessen", zeigt besonders das Beispiel Basel-Stadt, dass sie nie ihre Versprechen ans Grosskapital, an Syngenta, Roche und Novartis vergessen. Sie zu wählen legitimiert ihr System, ein System in dem sich eine kleine, perverse Minderheit sowohl an der grausamen, blutigen Knechtung, Ermordung und Erniedrigung der arbeitenden Bevölkerung im globalen Süden, als auch an der in einem Teufelskreis von Teuerung und Ausbeutung gefangenen Arbeiterklasse in der Schweiz bereichern kann, und das bis ins gehtnichtmehr. Seit mehr als einem Jahr läuft ein Genozid in Palästina, der, einer Studie des Lancet (einer der ältesten und renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften der Welt) zufolge eine Todeszahl von über 186'000 Menschen erreicht hat. Baba News' Slogan "stell dir vor, es ist Genozid und keiner berichtet darüber" gilt nicht nur für die kapitalistische Medienlandschaft in diesem Land, sondern auch in der hiesigen Politik. Und diese ganzen heuchlerischen Kreaturen und Leichenschänder (egal ob sie sich jetzt "links" oder rechts geben), diese verdammten Parasiten die sich Volksvertreter schimpfen, die uns in unseren Briefkästen, im Tram oder auf der Strasse mit ihren hässlichen Grimassen volllächeln und mit ihren toten Augen und dummen Blicken anstarren, lässt das alles kalt. Wenn sie nicht sogar komplett geil auf den Genozid sind, predigen sie im besten nichtssagenden Politikerdeutsch von "der gegenseitigen Anerkennung der israelisch-jüdischen und der palästinensisch-arabischen Bevölkerungsgruppen und ihrer Leidensgeschichten" (BastA!) oder von einem abstrakten, für sie als geborgene Wessis traumatisierenden "Nahostkonflikt" und anderem solchen Bullshit. Deswegen haben wir auch das Symbol des roten Dreiecks, das ursprünglich vom rotem Dreieck auf der palästinensischen Fahne hergeleitet wurde und seitdem zu einem weltweitem antiimperialistischem Symbol geworden ist, in dieser Wahlboykottkampagne genutzt, um Politikerfressen zu überkleben.

Die Ergebnisse der Grossratswahlen zeugen in Basel von einer noch tieferen Wahlbeteiligung als an den Nationalratswahlen (ungültige Stimmen nicht mitgezählt):

WahlBeteiligung der StimmberechtigtenBeteiligung der Gesamtbevölkerung
Grosser Rat41.09%20.59%
Regierungsrat44.49%22.29%
Regierungspräsidium40.49%20.29%

Das Fazit ist also:

AUCH IN BASEL-STADT SIND WIR, DIE NICHTWÄHLER, WEITERHIN DIE STÄRKSTE DER PARTEIEN!

Für alle, die sich mehr über Wahlboykott informieren wollen:

  • Hier findet ihr die Website der Wahlboykottkampagne 2023.
    • Hier findet ihr die Auswertung der Wahlboykottkampagne 2023.
      • Hier findet ihr das Positionspapier des Komitees für Wahlboykott, dem wir uns vollkommen anschliessen.

        Quellen:

        https://multiwatch.ch/fall/pharmastadt-basel-zwischen-widerstand-und-abhaengigkeit/

        https://multiwatch.ch/fall/syngenta-basel-und-die-klimagerechtigkeit/

        https://www.bvb.ch/wp-content/bvb/Dokumente/Geschaeftsberichte/2023/BVB_Geschaeftsbericht_2023.pdf

        https://statistik.bs.ch/indikatorenset/integration

        https://www.beobachter.ch/geld/sozialhilfe/menschen-mit-c-ausweis-wenn-bei-armut-wegweisung-droht-348921?srsltid=AfmBOoq8K9FdEjRXZRmBt-97nrj8SxQL7PxvNURb2wJiNUrPCJkc863Y

        https://www.swisstph.ch/en/news/news-detail/news/eva-herzog-elected-as-new-president-of-the-swiss-tph-board-of-governors

        https://www.woz.ch/2426/unreformierbare-polizei/und-zum-schluss-gibts-ein-knie-in-den-ruecken/!EBPV8ZVEB00W

        https://www.woz.ch/2425/basler-polizeialltag/toxische-kultur-im-korps/!BN33QSB6V2N7

        https://barrikade.info/article/6499

        https://barrikade.info/article/6121

        https://www.aljazeera.com/news/2024/7/8/gaza-toll-could-exceed-186000-lancet-study-says

        https://media.bs.ch/original_file/1a232cdf5b352377b8ec062727d2c54fc25f6857/schlussresultat-gr-2024-10-20-web.pdf

        https://media.bs.ch/original_file/c79a2b1021aaea164b7244ea4b3aca6d0877b7e9/schlussresultat-rr-2024-web.pdf

        https://media.bs.ch/original_file/d810b62a71647563457adfe08221fd576e7cb6a4/schlussresultat-rp-2024-web.pdf

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